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Der Kongress Armut und Gesundheit schafft seit 1995 ein kontinuierliches Problembewusstsein für gesundheitliche Ungleichheit in Deutschland. An drei Veranstaltungstagen tauschen sich Akteur*innen aus Politik, Wissenschaft, Gesundheitswesen, Praxis und Selbsthilfe zu Themen gesundheitlicher Ungleichheit aus. Aktuelle Forschungsergebnisse werden ebenso diskutiert und vertieft wie neue Strategien, Lösungsansätze und Erfahrungen. Die vergangenen Kongresse haben bereits eine Vielzahl neuer Kooperationen auf den Weg gebracht und Entwicklungen und Diskussionen angestoßen.
Mit dem Engagement aller Akteur*innen und Teilnehmenden des Kongresses erfährt eine heterogene Gruppe von Menschen eine Lobby, die oftmals wenig Unterstützung erhält.
H2 - Lebenswelten IV
11:00 - 12:30
Über Kinder und Jugendliche wird - nicht nur in der Corona Pandemie - an vielen Stellen diskutiert. Sie selbst bleiben dabei allerdings meist ungehört, ein Handeln im besten Interessen (Art.3 KRK) und eine Gewährleistung des Rechts auf Gehör (Art. 12 KRK) scheinen vielfach vergessen. Die Beiträge gehen der Frage nach, wie es gelingen kann, junge Menschen verstärkt als Expert*innen ihrer Lebenswelt in Wissenschaft und Praxis Raum zu geben, um von ihrer aktuellen Lebenssituation zu hören und Wege für den Dialog mit Verantwortungstragenden zu eröffnen.
Im ersten Beitrag werden Erkenntnisse zur Gestaltung gelingender Partizipationsprozesse aus Lehrforschungs- und Praxisprojekten an der Hochschule Magdeburg-Stendal vorgestellt, bei denen junge Menschen als Co-Forscher*innen agieren.
Im zweiten Beitrag liegt der Fokus auf konkreten Ergebnissen für ein jugendgerechtes Pandemiemanagement, welches mit praxisnaher und jugendgerechter Methodik von Kinder- und Jugendinteressenvertretungen, sowohl auf Kommunal- als auch Landesebene, untermauert wird.
Der dritte Beitrag behandelt die Thematik, wie und warum Partizipation und Inklusion von Menschen mit psychosozialen Beeinträchtigungen durch Eingreifen von Fachkräften und einer Gamifizierung notwendigerweise erreicht werden können. Dazu dienen konkrete Beispiele und Erfahrungen aus der Praxisarbeit mit psychosozial benachteiligten Menschen.
Chancen und Herausforderungen partizipativer Gesundheitsforschung mit Kindern und Jugendlichen
Die Corona Pandemie hat die Vulnerabilität von Kindern und Jugendlichen als gesellschaftliche Gruppe erneut sichtbar gemacht. Die Diskurse marginalisierten junge Menschen und sie selbst bleiben meist ungehört. Ein Handeln im besten Interesse (Art.3 KRK) und eine Gewährleistung des Rechts auf Gehör (Art. 12 KRK) wurden vielfach missachtet. Hier muss die Frage gestellt werden, wie es gelingen kann, junge Menschen verstärkt als Expert*innen ihrer Lebenswelt zu verstehen, Wissen und Evidenz auf Grundlage ihres subjektiven Wissens herauszuarbeiten.
Um jungen Menschen in der Forschung eine Stimme zu geben, werden in Lehrforschungs- und Praxisprojekten an der Hochschule Magdeburg-Stendal seit 2009 partizipative Ansätze genutzt, bei denen junge Menschen als Co-Forscher*innen agieren. Neben dem Wissen um ihre Perspektiven auf verschiedene Themen, konnten so Erkenntnisse zur Gestaltung gelingender Partizipationsprozesse gesammelt werden.
Ist partizipative Forschung an sich schon anspruchsvoll, zeigen sich in der Durchführung mit Kindern und Jugendlichen noch einmal ganz eigene Herausforderungen an Forschungsethik, -haltungen und –praxen.
Forschungsprozesse mit jungen Menschen können nur gelingen, wenn: Partizipation emanzipatorisch gedacht wird. Forschende ihre eigenen Vorstellungen vom Kind- bzw. Erwachsensein und damit verbundene Machtverhältnisse kritisch reflektieren. Methoden den Lebenswelten und dem Alter der Kinder und Jugendlichen angemessen sind. Und das Recht auf auf Partizipation auch in der Forschung geachtet wird. Forschungspraxen sowie forschungsethische und datenschutzrechtliche Vorgaben sind unter diesen Gesichtspunkten kritisch zu hinterfragen.
Welche Relevanz haben kommunale Kinder- und Jugendinteressenvertretungen für ein jugendgerechtes Pandemiemanagement?
Welche Relevanz haben kommunale Kinder- und Jugendinteressenvertretungen für ein jugendgerechtes Pandemiemanagement?
Mit jugendgerechter Methodik leisten Kinder- und Jugendbeauftragte Vermittlungsarbeit zwischen den Kindern und Jugendlichen sowie Politik und Verwaltung. Einigen gelang es, Dialogstrukturen zu etablieren, um die Bedürfnisse junger Menschen im kommunalen und landesweiten Pandemiemanagement berücksichtigen zu können. So initiierte bspw. die Hansestadt Stendal zusammen mit jungen Menschen eine Online-Umfrage, sammelte Videostatements u.v.m. Der Landeskinder- und Jugendbeauftragte von Sachsen-Anhalt führte eine digitale Jugendkonferenz mit 112 Teilnehmenden durch.
Im Ergebnis konnten die Bedürfnisse junger Menschen im Pandemiemanagement berücksichtigt werden. So hat Sachsen-Anhalt nach dem Jugenddialog die Möglichkeiten der Kinder- und Jugendhilfe zur Unterstützung junger Menschen verbessert. Die Hansestadt Stendal hat sich aktiv damit auseinandergesetzt. 2021 sendete der Oberbürgermeister eine Videobotschaft mit motivierenden Worten. Es wurde ein Selfcare-Workshop für Kinder und Jugendliche umgesetzt.
Der Diskussionsbeitrag stellt die Möglichkeiten und Methodiken einzelner Kinder- und Jugendbeauftragten im Pandemiemanagement vor. Er diskutiert dann ihre Relevanz und Rolle und fragt abschließend, wie sich hierüber ein kinder- und jugendgerechteres Pandemiemanagement im Zusammenspiel von Land und Kommune etablieren ließe.
Eingreifen, um nicht im Stich zu lassen - Gamifizierung realer Settings
Die Diskussion zu Diskriminierung und Ausgrenzung kommt auch in der Sozial- und Gesundheitsarbeit an. Eine Sensibilisierung findet statt, Sprache und Umgangsformen werden neu diskutiert. Zu wenig werden dabei fachliche Lösungsstrategien diskutiert, wenn psychosozial beeinträchtigte Menschen - durch eigentlich sinnvolle Rücksichtnahme auf persönliche Grenzen und Rechte - nicht inkludiert werden. Greifen wir ein oder lassen wir sie im Stich?
Mit Erfahrung in der Arbeit mit traumatisierten Menschen entwickelt Caiju Formate für Mainstream-Settings. Vorgänge in Unternehmen, im Gemeinwesen oder bspw. in Beratungssituationen werden modifiziert. Im Sinne einer Gamifizierung werden Alias, Avatare, Spielregeln mit besonderen Konventionen für Abläufe und Auswertungen so konzipiert, dass psychosozial beeinträchtigte Menschen inkludiert werden und sie ihre persönlichen Kompetenzen weiterentwickeln, ohne als benachteiligt definiert zu werden.
Am Beispiel von “Blitzjobs für junge Menschen” (650 junge Menschen in 5.500 Arbeitseinsätzen bei 200 Einsatzstellen) und “BeratungsSpiele” (Rollenspiele mit psychosozial benachteiligten Menschen im Qualitätsdialog untereinander bzw. mit Fachleuten) hat sich gezeigt, wie gamifizierte Wirklichkeiten als Teil und Erweiterung der Sozial- und Gesundheitsarbeit wirken können.
Auffälligerweise sind im deutschen “Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz” Menschen mit psychosozialen Beeinträchtigungen nicht erwähnt. Wenn sie nicht weiterhin im Stich gelassen werden sollen, benachteiligt im Erwerb persönlicher Kompetenzen, bedarf es einer fachlichen Auseinandersetzung über die gesellschaftliche Diskussion zu Partizipation, Diskriminierung und Ausgrenzung hinaus.
Foto: André Wagenzik