Schon angemeldet?
Der Kongress Armut und Gesundheit schafft seit 1995 ein kontinuierliches Problembewusstsein für gesundheitliche Ungleichheit in Deutschland. An drei Veranstaltungstagen tauschen sich Akteur*innen aus Politik, Wissenschaft, Gesundheitswesen, Praxis und Selbsthilfe zu Themen gesundheitlicher Ungleichheit aus. Aktuelle Forschungsergebnisse werden ebenso diskutiert und vertieft wie neue Strategien, Lösungsansätze und Erfahrungen. Die vergangenen Kongresse haben bereits eine Vielzahl neuer Kooperationen auf den Weg gebracht und Entwicklungen und Diskussionen angestoßen.
Mit dem Engagement aller Akteur*innen und Teilnehmenden des Kongresses erfährt eine heterogene Gruppe von Menschen eine Lobby, die oftmals wenig Unterstützung erhält.
H1 - Gesundheitsfördernde Gesamtpolitik II
13:15 - 14:45
Diese Session betrachtet die Lebenssituationen und Unterstützungsbedarfe von Familien. Dabei wird sowohl auf benachteiligte Bevölkerungsgruppen als auch auf die spezielle Zeit der Pandemie eingegangen.
Der erste Beitrag betrachtet den Zusammenhang von Armut und Gesundheit von Frauen und Männern mit und ohne Kindern in Deutschland. Elternschaft kann eine wichtige soziale Ressource für die Gesundheit sein. Mütter in Armut profitieren jedoch mit Blick auf einige verhaltensassoziierte Outcomes nicht im selben Maße vom Zusammenleben mit Kindern wie Mütter mit höheren Haushaltseinkommen. Neben Strategien zur Armutsbekämpfung erscheinen spezifische Maßnahmen der Gesundheitsförderung für armutsbetroffene Frauen und Männer mit Kindern zielführend.
Der zweite Beitrag bezieht sich auf Roma-Familien in Österreich. Der Gesundheitszustand von Kindern aus Roma-Familien ist in vielen Ländern deutlich schlechter als in der Gesamtbevölkerung. Befragte Fachpersonen vermuten auch in Österreich eine gesundheitliche Benachteiligung. Das österreichische Konzept der Frühen Hilfen erweist sich als geeignet, um auch Roma-Familien gut unterstützen zu können. Eine Sensibilisierung von Roma-Familien sowie Fachleuten aus dem Gesundheits- und Sozialbereich für den Nutzen einer Unterstützung durch die Frühen Hilfen auch für diese Familien erscheint notwendig.
Der dritte Beitrag betrachtet die Situation von Familien in Zeiten der aktuellen Corona-Pandemie in Österreich. Belastende Lebenssituationen von Familien können sich in den ersten Lebensjahren eines Kindes negativ auf ihre Entwicklung auswirken. Familien waren durch die Pandemie besonderen Belastungen ausgesetzt, gleichzeitig war es aufgrund der Maßnahmen zur Pandemieeindämmung oft schwer, Unterstützung zu erhalten. Eine fortlaufende Unterstützung belasteter Familien ist jedoch gerade in Zeiten wie diesen unbedingt erforderlich.
Armut und Gesundheit von Eltern
Während Zusammenhänge zwischen Armut und Gesundheit hinlänglich bekannt sind, wurde die Gesundheit von Eltern in Armut bislang kaum gesondert betrachtet. Der Beitrag analysiert, ob der Zusammenhang von Einkommen und Gesundheit zwischen Frauen und Männern mit und ohne Kinder variiert.
Die Analyse basiert auf Daten der Studie GEDA 2019/2020-EHIS (6.462 Frauen, 6.172 Männer). Für die selbst eingeschätzte Gesundheit, eine depressive Symptomatik, Adipositas, Rückenschmerzen, Rauchen, Alkoholkonsum, Obst- und Gemüseverzehr sowie sportliche Aktivität wurden adjustierte Prävalenzen stratifiziert nach Elternstatus und Einkommen berechnet.
Frauen und Männer, die mit Kindern zusammenleben, sind und verhalten sich gesünder als Frauen und Männer ohne Kinder. Bei Frauen und Männern in Armut mit und ohne Kinder zeigen sich ungünstigere Outcomes, mit Ausnahme des Alkoholkonsums: Arme Frauen mit und ohne Kinder trinken seltener in riskantem Maße Alkohol als Frauen mit höherem Einkommen. Bei Männern zeigen sich beim Alkoholkonsum sowie beim Obst- und Gemüseverzehr keine Unterschiede nach Einkommen. Bei Adipositas, sportlicher Inaktivität und Rauchen fallen die Unterschiede zwischen den Einkommensgruppen bei Frauen mit Kindern größer aus als bei Frauen ohne Kinder.
Elternschaft kann als wichtige soziale Ressource für Gesundheit angesehen werden. Mütter in Armut profitieren jedoch mit Blick auf einige verhaltensassoziierte Outcomes nicht im selben Maße vom Zusammenleben mit Kindern wie Mütter mit höheren Haushaltseinkommen. Neben Strategien zur Armutsbekämpfung erscheinen spezifische Maßnahmen der Gesundheitsförderung für armutsbetroffene Frauen und Männer mit Kindern zielführend.
Roma-Familien als Zielgruppe der Frühen Hilfen – Ergebnisse eines partizipativen Begleitforschungsprojektes
Bisher werden von den regionalen Frühe-Hilfen-Netzwerken in Österreich kaum Roma-Familien begleitet. Das Projekt hat mögliche Ursachen untersucht und Empfehlungen abgeleitet.
Es wurden eine systematische Literaturanalyse und - unter Einbindung von Ko-Forscherinnen aus verschiedenen Roma-Communities - Interviews und Fokusgruppen mit Roma-Familien aber auch mit Fachleuten aus den regionalen Frühe-Hilfen-Netzwerken durchgeführt.
Der Gesundheitszustand von Kindern aus Roma-Familien ist in vielen Ländern deutlich schlechter als in der Gesamtbevölkerung. Für Österreich fehlen solche Daten, befragte Fachpersonen vermuten aber auch in Österreich eine gesundheitliche Benachteiligung. Trotz der großen und selbstverständlichen Unterstützung durch die Großfamilie befinden sich auch junge Roma-Familien oft in belastenden Lebenssituationen. Neben den bereits bekannten Hürden, die die Inanspruchnahme von externer Unterstützung (wie z.B. Frühe Hilfen) erschweren können, liegen auch spezifische Aspekte vor (z.B. der große Einfluss der Großmütter). Diese sollten berücksichtigt und dem Vertrauensaufbau ausreichend Zeit gewidmet werden. Eine Sensibilisierung von Roma-Familien sowie Fachleuten aus dem Gesundheits- und Sozialbereich für den Nutzen einer Unterstützung durch die Frühen Hilfen auch für diese Familien erscheint notwendig. Eine Fortbildung für Familienbegleiter/innen unterstützt diese in der Arbeit mit Roma-Familien.
Die Begleitung von Roma-Familien durch die Frühen Hilfen erscheint sinnvoll, wenn auch nicht für alle. Entsprechende Hürden sollten daher reduziert werden.
Was brauchen Familien in Zeiten der Pandemie?
Die ersten Lebensjahre sind besonders bedeutend für die gesundheitliche Entwicklung von Kindern. Belastende Lebenssituationen von Familien können sich in dieser Zeit daher negativ auf ihre Entwicklung auswirken. Im Zuge der aktuellen Corona-Pandemie hat sich gezeigt, dass sich die Situation von Familien häufig verschlechtert hat. Eine Befragung sollte dies genauer betrachten, um Empfehlungen für zukünftige Maßnahmen ableiten zu können.
Es wurden 111 in Österreich lebende Familien mit Kindern unter 3 Jahren mittels Online-Fragebogen befragt und 7 Interviews durchgeführt. Die Zielgruppe wurde über die regionalen Frühe-Hilfen-Netzwerke erreicht. Eine Analyse der Dokumentation von 1.056 im Jahr 2020 durch die Frühen Hilfen unterstützten Familien ergänzt die Ergebnisse.
Zu den größten Herausforderungen der Familien während der Lockdowns gehörten die fehlenden sozialen Kontakte, die Überforderung mit der Situation sowie die verstärkte psychische Belastung. Auch die Familiensituation war häufiger angespannt. Unterstützungsbedarf bestand vor allem in den Bereichen psychische Gesundheit, finanzielle Angelegenheiten, Kinderbetreuung und Spielgruppen, doch vielfach standen die benötigten Angebote nicht (ausreichend) zur Verfügung. Die Familienbegleitung der Frühen Hilfen war oft eine von wenigen verfügbaren Anlaufstellen.
In Krisenzeiten wie einer Pandemie muss auf eine fortlaufende Unterstützung belasteter Familien geachtet werden, um einer negativen gesundheitlichen Entwicklung der Kinder entgegenzuwirken.
Foto: André Wagenzik